Erfolgreiche Lernstrategien bei ADHS: Warum Lernpräferenzen dabei entscheidend sind

Lange Zeit war ich davon überzeugt, dass die Theorie der Lerntypen wissenschaftlich belegt sei. Ich war mit ihr während meines Studiums in den USA in Berührung gekommen und auch später als Professorin wusste ich, dass einige meiner Kollegen sie regelmäßig im Unterricht verwendeten. Bis eines Tages eine Studentin in einem meiner Kurse aufzeigte und sagte: Lerntypen sind längst widerlegt! Ich war überrascht und ehrlich gesagt auch ein wenig skeptisch. Hatte ich über ein Jahrzehnt lang an ein überholtes Konzept geglaubt?

Was sind eigentlich Lerntypen? Und warum sollten wir darüber Bescheid wissen?

Viele Menschen glauben von sich, z.B. ein „visueller Lerntyp“ zu sein oder sich schlecht etwas durch reines Zuhören merken zu können. Diese Annahmen basieren auf besagter Lerntypen-Theorie, die unser Verständnis vom Lernen über Jahrzehnte geprägt hat und auch unser Bildungssystem beeinflusst. Doch immer mehr Wissenschaftler und Pädagogen stellen dieses Konzept inzwischen infrage.

Gerade dann, wenn wir selbst oder unsere Kinder neurodivergent sind, ist es besonders wichtig zu verstehen, was genau ein Lerntyp ist, und wie er sich von einer Lernpräferenz unterscheidet.


Denn auch wenn das ursprüngliche Modell der Lerntypen als wissenschaftlich überholt gilt, kann es dennoch sehr wichtig für uns sein zu verstehen, wie unser Gehirn am besten lernt.

Ursprung und Kritik der Lerntypen-Theorie

In den 1990er und frühen 2000er Jahren wurde die Theorie der Lerntypen sehr beliebt. Sie ging davon aus, dass Menschen am besten dann lernen, wenn Inhalte auf eine bestimmte Weise vermittelt werden: visuell, auditiv oder kinästhetisch. Einige Modelle ergänzten noch weitere Kategorien wie Lesen/Schreiben oder intellektuell-kommunikativ.

Die Grundidee war: Wenn man den Unterrichtsstil an den jeweiligen Lerntyp anpasst, verbessert das den Lernerfolg.

Ein visuell orientierter Mensch lernt am besten durch viele Schaubilder; ein auditiver Typ durch Vorträge und ein kinästhetisch veranlagter Lerner lernt dann am besten, wenn er aktiv mit den Händen arbeiten kann.

Das klingt erstmal logisch und war für viele eine hilfreiche Erklärung für Unterschiede im Lernverhalten. Doch die Wissenschaft konnte nie wirklich nachweisen, dass diese Annahme auch auf Fakten beruht.

Eine einflussreiche Studie von Pashler, McDaniel, Rohrer und Bjork (2008) kam zu dem Schluss, dass es keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege dafür gibt, Lerntypen in der Bildungspraxis einzusetzen. Denn:

  • Die bevorzugte Lernweise sagt nicht automatisch etwas darüber aus, wie gut jemand Informationen verarbeitet oder behält.

  • Die meisten Menschen nutzen beim Lernen oft unbewusst mehrere Sinne gleichzeitig.

  • Effektives Lernen basiert häufig auf der Kombination verschiedener Lernkanäle – nicht auf der Beschränkung auf nur einen.

Beispielsweise:

  • Wir hören gerne Podcasts, merken uns aber Inhalte besser, wenn wir uns Notizen dazu machen.

  • Wir sehen uns gerne Videos an, verstehen Themen aber erst richtig gut, wenn wir sie einer anderen Person erklären.

Fazit: Lerntypen als starres Modell funktionieren nicht.

Anstelle von festen Lerntypen sprechen viele Fachleute heute lieber von Lernpräferenzen, die uns das Lernen zugänglicher machen. Sie sagen nichts darüber aus, wie gut wir etwas lernen, aber sie helfen uns dabei, mit dem Lernen anzufangen, Motivation aufzubauen und Schwierigkeiten zu überwinden.

Oder anders gesagt:

  • Lerntypen stecken uns in eine Schublade.

  • Lernpräferenzen geben uns eine Werkzeugkiste an die Hand.

Warum Lernpräferenzen besonders für neurodivergente Personen wichtig sind

Für Menschen mit ADHS oder auf dem Autismus Spektrum fühlt sich Schule oder Uni oft wie ein täglicher Kampf an, den wir regelmäßig verlieren. Typische Schwierigkeiten für uns sind:

  • lange, monotone Vorlesungen, die uns schnell überfordern

  • text-lastige Aufgaben, die uns langweilen und ermüden

  • wenig Möglichkeit für Bewegung oder sensorische Regulation

  • Mangel an Struktur, Flexibilität und Pausen

Und wenn uns dann noch gesagt wird: „Du strengst dich einfach nicht genug an“, kann uns das zutiefst treffen und frustrieren. Stattdessen sollten wir uns fragen: Wie lernen wir am besten? Wie können wir das Lernen für unsere Bedürfnisse am besten anpassen?

Typische Lernpräferenzen bei ADHS

Jeder Mensch lernt unterschiedlich, aber bei ADHS zeigen sich häufig folgende Lernvorlieben:

1. Praktisches, handlungsorientiertes Lernen

Wir begeistern uns oft für etwas, wenn wir es aktiv erleben können: Wenn wir etwas anfassen, ausprobieren, bauen, mitgestalten dürfen. Theorie allein reicht oft nicht aus, sondern wir wollen selbst involviert sein. Das macht abstrakte Inhalte greifbarer und hilft uns, uns besser konzentrieren und bei der Sache bleiben zu können.

2. Visuelle Strukturierung

Diagramme, Farben, Mindmaps, visuelle To-do-Listen: All das hilft unserem Gehirn, den Überblick zu behalten. Gerade bei ADHS ist das visuelle Sortieren oft der Schlüssel zu mehr Klarheit.

3. Kurze Einheiten mit Pausen

Lange Lernzeiten sind keine gute Idee. Besser sind kurze, fokussierte Lerneinheiten (z. B. mit der Pomodoro-Technik) und danach eine Auszeit mit Bewegung, Snacks, frischer Luft. Das entlastet unser Nervensystem und gibt uns neue Energie.

4. Interaktives Lernen

Diskussionen, Quizspiele, jemandem etwas erklären: Aktives Lernen hilft uns, die Inhalte besser zu speichern als passives Konsumieren.

5. Abwechslung und Kreativität

Routine ist wichtig, aber zu viel Routine führt bei ADHS zu Langeweile, und die ist ein echter Lern-Killer. Wenn wir den Ort wechseln, unsere Tools variieren oder Aufgaben spielerisch gestalten, bleibt Lernen lebendig und macht uns mehr Spaß.

 

Was bedeutet das für die Schule und unser Lernen?

Wenn wir selbst oder unser Kind mit dem Lernen und Informationenaufnehmen nicht gut klarkommen, ist das kein persönliches Versagen. Es bedeutet schlichtweg: Eine bestimmte Methode passt nicht gut zu unserem Gehirn.

Statt uns zu zwingen, in ein System zu passen, können wir uns stattdessen fragen:

  • Wann kann ich mich beim Lernen besonders gut konzentrieren?

  • In welcher Form verstehe ich Inhalte am schnellsten?

  • Wie kann ich Aufgaben an meinen Denk- und Lernstil anpassen?

Vielleicht bedeutet das, Geschichtsinhalte in einen Comic umzuwandeln.
Oder statt den Biotext zum dritten Mal zu lesen, uns ein kurzes Erklärvideo anzuschauen.
Oder das Vokabelheft mit in den Park zu nehmen und es uns dort laut vorzulesen.

Es geht nicht darum, die eine richtige Strategie zu finden, sondern die Art und Weise, die für uns funktioniert.

Fazit

Auch wenn die Theorie der Lerntypen wissenschaftlich überholt ist, bleibt eine zentrale Erkenntnis bestehen: Menschen lernen unterschiedlich.

Es gibt keine „richtige“ oder „falsche“ Art zu lernen, sondern nur die Frage: Was funktioniert für uns am besten?

Indem wir unsere eigenen Lernbedürfnisse ernst nehmen, öffnen wir einen Raum für mehr Selbstvertrauen, Motivation und echtes Wachstum – jenseits von Schubladen und Diagnosen.

 

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