Vier Strategien, wie wir besser mit Prüfungsangst fertig werden

Prüfungsangst ist ein weit verbreitetes Problem unter Schülern und Studenten. Als ehemalige Professorin habe ich damit viel Erfahrung: Ich erinnere mich noch gut an die Nervosität in den Augen meiner Studenten vor einer Prüfung, das Zittern ihrer Stimme bei einem Referat und ihre Frustration, wenn sie sich einfach nicht an wichtige Fakten erinnern konnten. Diese immer wiederkehrenden Reaktionen führten schließlich dazu, dass ich so viele Prüfungen wie möglich in Projekte umwandelte oder meinen Studenten die Option gab, zwischen verschiedenen Prüfungsmodalitäten zu wählen, z.B. zwischen regulären Tests, Projekten, Hausarbeiten, etc.

 

Doch nicht jeder Professor oder Lehrer ist dazu bereit – oder in der Lage. Oft sind wir an starre Lehrpläne gebunden, die nur wenig Abweichung oder Veränderung zulassen. Studien zeigen zudem, dass es gerade Tests und Prüfungen sind, die Schüler und Studenten dazu anspornen, den Schulstoff wirklich zu lernen und somit maßgeblich zum Lernerfolg beitragen.

 

Jedoch für viele neurodivergente Schüler und Studenten können Tests und Prüfungen besonders problematisch sein. Sie erleben oft besonders starke Versagensängste, vermehrten Stress aufgrund ihrer Konzentrationsschwierigkeiten, Scham, wenn sie um Nachteilsausgleich bitten müssen, und Verzweiflung, wenn dieser Nachteilsausgleich ihnen nicht gewährt wird.

 

Was können wir also tun, wenn wir zur Prüfungsangst neigen und den Ansturm von negativen Gedanken in unserem Kopf nicht kontrollieren können? Finden wir uns einfach damit ab und gehen mit großer Panik in unsere Prüfungen? Oder gibt es bestimmte Techniken, um unsere Situation zu verbessern?

 

In diesem Blogpost bespreche ich vier Strategien, mit denen wir unsere Nervosität besser in den Griff bekommen und Prüfungen selbstbewusster angehen können. Prüfungsangst verschwindet in den wenigstens Fällen über Nacht, aber mit etwas Geduld und regelmäßiger Übung können wir unsere Ängste langsam in den Griff bekommen und uns weniger panisch vor Leistungsüberprüfungen fühlen.

 

Was ist Prüfungsangst?

Wie wir alle wissen, ist Prüfungsangst nicht nur Nervosität vor einer Prüfung. Sie äußert sich sowohl auf körperlicher, emotionaler und kognitiver Ebene und verursacht unkontrollierbare Gedanken, schwitzige Hände, Herzrasen sowie mentale Blockaden – das gefürchtete Blackout, bei dem wir einfach nur auf unseren Test starren und keine zusammenhängenden Gedanken oder Ideen mehr formulieren können. Laut einer Studie der University of Chicago kann Prüfungsangst unser Arbeitsgedächtnis stark beeinträchtigen, so dass wir Schwierigkeiten mit dem Abrufen von Informationen haben. Die Studie zeigt jedoch auch, dass das Erkennen und Ansprechen von Ängsten Schülern und Studenten zu besseren Leistungen verhelfen kann.

 

1.  Brain Dump

Eine effektive Methode, um Prüfungsangst abzubauen, ist die Brain Dump-Technik. Wir nehmen uns vor Prüfungsbeginn 3–5 Minuten Zeit, um all das aufzuschreiben, was uns im Kopf herumschwirrt. Das können wichtige mathematische Formeln, historische Fakten, französische Vokabeln und insbesondere unsere Sorgen und Ängste sein. Indem wir unsere Gedanken aufs Papier bringen, schaffen wir Raum in unserem Gehirn und reduzieren all jene lauten “Geräusche”, die unsere Konzentration beeinträchtigen.

 

Diese Technik mag zunächst seltsam klingen – warum sollten wir gerade unsere negativen Gedanken aufschreiben, wenn wir diese doch loswerden wollen? Ist das nicht eher kontraproduktiv und führt, im Gegenteil, zu erhöhten Angstgefühlen?

 

Interessanterweise ist dem nicht so. Laut den wissenschaftlichen Ergebnissen der University of Chicago schnitten Studenten, die ihre Prüfungsängste vor einer Arbeit genau aufschreiben konnten, im Durchschnitt um eine Note besser ab als diejenigen, die dies nicht taten. Das simple Auslagern der Ängste half den Studenten demnach enorm, ihren Kopf freizubekommen und ihre intellektuellen Leistungen zu steigern.

 

2. Notfallplan

Eine weitere effektive Strategie ist ein Notfallplan, den wir uns vor einer Prüfung überlegen. Dabei spielen die folgenden vier Fragen eine wichtige Rolle:

 

1. Wovor habe ich am meisten Angst, wenn es sich um eine Prüfung handelt?

 

2. Wie schlimm wäre es, wenn das, wovor ich am meisten Angst habe, wirklich eintreten würde? Wäre es wirklich zutiefst verstörend oder könnte ich mit den Folgen leben?

 

3. Was könnte ich tun, damit das von mir Gefürchtete nicht eintritt? Kenne ich Strategien, die mir bei der Angstbewältigung helfen könnten? Z.B. könnte dies bedeuten, dass

 

  • ich mich so gut wie möglich vorbereite, so dass ich mich im Lernstoff sicher fühle.

  • ich alte Prüfungen durchgehe und mit diesen eine Prüfungssituation simuliere.

  • ich mir überlege, wie ich mich am besten an Gelerntes erinnern kann (z.B. durch Eselsbrücken), wenn das eines meiner größten Sorgen ist.

 

4. Wie reagiere ich, wenn das Gefürchtete wirklich eintritt? Wie kann ich mich auf das „worst case scenario“ vorbereiten? Wenn Panik einsetzt, könnte ich

 

  • kurz eine kleine Pause machen und mich auf meine Gefühle konzentrieren: wie fühlt sich die Panik an? Kann ich sie beschreiben? Schaffe ich es, diese Panik ein paar Minuten auszuhalten und abzuwarten, bis sie wieder schwächer wird?

     

  • tief durchatmen – und eine Atemtechnik anwenden (wie die 4-7-8-Atemtechnik, siehe unten), die meine Nerven beruhigt.

  • meine Gedanken hinterfragen. Anstatt zu denken: „Ich werde durchfallen“ könnte ich versuchen, mich positiv zu beeinflussen, indem ich den alten mit einem neuen, optimistischeren Satz vertausche, z.B. „Ich bin gut vorbereitet und gebe mein Bestes.“

  • zur nächsten Aufgabe übergehen. Wenn ich eine Aufgabe nicht lösen kann und in Panik gerate, fang ich einfach mit einer neuen Aufgabe an und komme zu der ersten Aufgabe später zurück. So vermeide ich, dass mir die Zeit davonläuft und ich immer panischer werde.

Ein Plan stellt sicher, dass wir uns nicht von der Panik überwältigen lassen und vorschnell aufgeben.

 

3. Die 4-7-8-Atemtechnik

Die 4-7-8-Atemtechnik ist ein weiteres Mittel, das wir bei Angstzuständen einsetzen können. Die von Dr. Andrew Weil entwickelte Methode aktiviert den Parasympathikus und hilft so unserem Körper, sich zu entspannen. So geht's:

 

  • Wir atmen 4 Sekunden lang durch die Nase ein.

  • Wir halten den Atem 7 Sekunden lang an.

  • Wir atmen 8 Sekunden lang langsam durch den Mund aus.

  • Und beginnen  wieder von vorne.

 

Diese Technik verlangsamt unseren Herzschlag, reduziert Stress und hilft uns, uns konzentrieren zu können. Wissenschaftliche Studien haben belegt, dass das Atmen vor einer Prüfung unsere Angst deutlich mildert, so dass wir uns weniger überfordert fühlen.

 

Natürlich können wir nicht erwarten, dass wir uns bereits nach ein oder zwei Tagen deutlich besser fühlen. Wenn wir zu Panik oder Angstzuständen neigen, wäre es gut, wenn wir bereits mehrere Wochen vor der Prüfung mit dem Üben beginnen würden. Aus meiner eigenen Erfahrung heraus empfehle ich, die Atemtechnik vier Wochen lang täglich zu üben, so dass sich der Erfolg langsam einstellen kann.

 

Wenn dann der Tag der Prüfung gekommen ist, können wir die Technik kurz vor unserer Arbeit ca. 5 Minuten lang anwenden, und wir sollten uns deutlich ruhiger und gelassener fühlen. Zumindest sollte die größte Anspannung von uns abfallen, sodass wir uns problemlos an das Gelernte erinnern können.

 

4. Akzeptanz unserer Angst

Eines der kontraproduktivsten Dinge, die wir tun können, ist, unsere Angst unterdrücken zu wollen. Ich weiß, das ist leichter gesagt als getan, zumal wir oft das Gegenteil hören: Unsere Eltern sagen uns, wir sollen uns zusammenreißen und uns nicht von unseren Gefühlen leiten lassen, unsere Lehrer bestreiten jeglichen Grund zur Nervosität und unsere Freunde sehen uns womöglich schief an, wenn wir mit schweißnassen Händen panisch an unserem Kuli kauen. Jedoch liegt hier der Schlüssel zum Erfolg: Je mehr wir unsere Angst als einen Teil der Prüfung akzeptieren, desto mehr nimmt sie ab. Auch das müssen wir üben. Wir können uns bestimmte Sätze immer wieder vorsagen:

 

  • „Es ist nicht schlimm, nervös zu sein. Es bedeutet, dass mir der Test wichtig ist.“

  • „Angst ist nur in meinem Gehirn, das versucht, mich zu schützen, aber ich bin nicht in Gefahr.“

  • „Ich kann auch dann erfolgreich sein, wenn ich Angst habe.“

 

Indem wir unsere Angst annehmen, anstatt sie zu bekämpfen, nehmen wir ihr ihre Macht. Wir sollten Angst als eine natürliche Reaktion ansehen, mit der wir uns auseinandersetzen können. Sie ist kein Zeichen von Schwäche oder von einem tiefsitzenden Problem; sie ist Teil unserer Persönlichkeit, und das ist auch okay so.

 

Abschließende Gedanken

Prüfungsangst kann sich überwältigend anfühlen, aber wir können etwas dagegen tun! Die oben genannten Strategien klingen vielleicht zunächst recht simpel, aber es sind meist die simplen Dinge im Leben, die mit der Zeit ihre Wirkung zeigen. Wenn wir fit werden wollen, reicht es oft schon aus, täglich 10 Minuten ein paar Übungen zu machen; wenn wir abnehmen wollen, verzichten wir vielleicht nachmittags auf unseren süßen Snack; und wenn wir vor Prüfungen weniger Angst haben wollen, können wir uns täglich 2-3 Minuten Zeit nehmen und uns auf unsere Atmung konzentrieren. Wir machen einen Brain Dump und finden heraus, wie wir uns dabei fühlen; wir halten einen Notfallplan mit Strategien für den Fall bereit, dass wir uns plötzlich in einer Panikattacke wiederfinden.

 

Wenn wir die oben genannten Strategien konsequent trainieren – nicht nur am Prüfungstag - haben wir große Chancen, unsere Prüfungsangst unter Kontrolle zu bekommen. Je öfter wir diese Strategien in unseren Alltag integrieren, desto selbstbewusster und gelassener werden wir uns fühlen, wenn es wirklich darauf ankommt.

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