Netzwerken neu gedacht: Tipps für Menschen mit ADHS

Vor zwei Wochen habe ich mich mit den Schwierigkeiten neurodivergenter Leute beschäftigt, soziale Signale richtig zu interpretieren und bedeutungsvolle Freundschaften zu knüpfen. Heute möchte ich über ein Thema sprechen, das ebenfalls sehr viel mit sozialen Signalen zu tun hat, nämlich mit dem des Networkings.

Vielen von uns geht es vielleicht so, wie den meisten meiner früheren Studenten: Schon beim Gedanken an Networking bekommen wir schweißnasse Händen und fühlen uns nervös und gestresst. Und als neurodivergente Person kann sich Networking wie ein Albtraum anfühlen, wenn wir an laute Räume, unendlich viele Namen, ständigen Smalltalk oder Reizüberflutung denken.

Und trotzdem ist Networking nach wie vor eines der wichtigsten Tools im Berufsleben. Ganz gleich, ob wir einen Job suchen, uns selbstständig machen wollen oder einfach nur neue Impulse brauchen: Oft ist es genauso wichtig, wen wir kennen, wie was wir können.

Warum Networking so wichtig ist

Networking lässt sich aus dem Berufsleben und der Jobsuche nicht mehr wegdenken. Hier sind fünf Gründe, warum Networking so wichtig für unsere berufliche Laufbahn sein kann:

  1. Neue Stellen entdecken
    Viele Jobs werden gar nicht öffentlich ausgeschrieben. Wenn wir die richtigen Leute kennen, erfahren wir vielleicht von Möglichkeiten, die sonst völlig an uns vorbeigegangen wären.

  2. Von anderen lernen
    Durch Gespräche mit anderen Menschen bekommen wir neue Ideen und Impulse. Vielleicht hilft uns ein Gespräch mit einem neuen Kontakt dabei, ein bestimmtes Problem in einem neuen Lichte zu sehen und dafür eine gute Lösung zu finden.

  3. Einen guten Eindruck hinterlassen
    Wenn wir uns in Diskussionen einbringen und eine Meinung zu bestimmten Themen haben, machen wir auf uns aufmerksam. Wir werden sichtbar und gewinnen an Einfluss.

  4. Emotionale Unterstützung finden
    Mit Schwierigkeiten in der Arbeitswelt sind wir selten allein, denn anderen geht es ähnlich wie uns. Networking kann uns Mut machen. Vielleicht finden wir sogar einen Mentor, der uns hilft und für uns da ist

  5. Kooperationen starten
    Oft entstehen spannende Projekte, wenn wir neue Leute kennenlernen und Ideen austauschen. Wir entdecken gemeinsame Interessen und stellen gemeinsame Projekte auf die Beine.

 

Die ADHS-Herausforderung

Wenn wir ADHS haben, können klassische Networking-Situationen wie ein Tsunami an Eindrücken wirken. Viele meiner Klienten haben daher mit den folgenden Situationen ihre Schwierigkeiten:

  • Sie fühlen sich in lauten, vollen Räumen schnell überfordert.

  • Der Name ihres neuen Kontakts? Schon wieder vergessen.

  • Körpersprache, Mimik, Tonfall sind für sie schwer zu lesen.

  • Beim Smalltalk schweifen sie gedanklich ab und verlieren den Faden.

  • Sie reden plötzlich zu viel oder gar nichts.

  • Sie haben Angst, auf Ablehnung zu stoßen.

  • Sie verstellen sich und sind danach völlig ausgelaugt.

Es ist also kein Wunder, dass wir Networking Events nicht selten deprimiert verlassen, wenn es nicht so läuft, wie wir es uns erhoffen. Jedoch liegt es oft nicht am Networking selber, sondern speziell an der Art und Weise, wie wir an die Sache herangehen.

Meine individuellen Strategien

Als Professorin habe ich früher viele Konferenzen und Events besucht und festgestellt, dass ich dort nur bedingt neue Leute kennengelernt habe. Entweder unterhielt ich mich in erster Linie mit Personen, die ich schon kannte, oder ich blieb bei der erstbesten Person hängen und schaffte es nicht, mich weiter umzusehen.

Mit der Zeit sah ich ein, dass bestimmte Veranstaltungen für mich nicht den gewünschten Erfolg brachten. Ich fing somit an, Networking auf meine Art zu gestalten und war plötzlich viel effizienter als zuvor. Hier sind drei Vorschläge, die bei mir gut funktionieren.

1. LinkedIn nutzen

Viele Leute haben ein gespaltenes Verhältnis zu Online-Plattformen, aber zum Netzwerken finde ich sie fantastisch. Ich kann dort in Ruhe nach interessanten Menschen suchen und habe sofort viele wichtige Infos an der Hand, die in einem normalen Gespräch gar nicht zu Tage treten würden. Ich schreibe dann eine Nachricht und bitte meinen neuen Kontakt um ein kurzes Gespräch. Meiner Erfahrung nach sind die meisten Leute durchaus an einem Austausch interessiert und machen einen Termin mit mir aus. Diese Methode erspart mir den mir so verhassten Smalltalk und die Reizüberflutung, die bei mir schnell durch zu viele Menschen entsteht.

2. Webinare statt Konferenzen

Weiterhin ziehe ich mittlerweile Online-Seminare Konferenzen vor. Da kann ich zunächst erst einmal zuhören und beobachten, bevor ich mit einer neuen Person in Kontakt trete. Ich mache mir dabei oft Notizen: Wer hat etwas Spannendes gesagt? Wen würde ich gerne näher kennenlernen? Danach kontaktiere ich diese Personen via E-Mail. Für mich ist diese Methode viel stressfreier, jedoch trotzdem sehr effektiv.

3. Freunde um Hilfe bitten

Oft denken wir, dass wir niemanden mit guten Kontakten kennen, aber dem ist nicht so. Wenn wir unsere Familienmitglieder, Freunde und Bekannte nach ihren Verbindungen fragen, sind wir oft überrascht, was sich plötzlich ergeben kann. Wenn der Freund eines Freundes jemanden kennt, der in der gleichen Branche wie wir arbeitet und uns vielleicht weiterhelfen kann. Nicht selten reicht unser eigenes Netzwerk schon vollkommen aus, um viele neue Kontakte zu knüpfen.

Wenn ich ab und zu doch einmal zu einem Networking Event gehe

Vielleicht wollen oder müssen wir zwangsläufig zu einer größeren Veranstaltung gehen. Hier sind einige Strategien, die mir dann regelmäßig helfen, :

1. Ich wähle kleine Veranstaltungen

Ich finde es für mich wichtig, kleine Workshops oder Seminare innerhalb einer größeren Veranstaltung zu wählen, deren Inhalte mich persönlich ansprechen. Bei denen die Struktur schon vorgegeben ist und ich so recht unkompliziert mit Leuten ins Gespräch kommen kann, ohne mich an eine Bar stellen zu müssen.

2. Ich bereite mich vor

Bevor ich zu einer neuen Veranstaltung gehe, überlege ich mir meistens ein paar Sätze, mit denen ich mich vorstellen möchte. Wer bin ich und was mache ich? Warum bin ich auf dieser Veranstaltung? Das Gleiche gilt auch für mein Gegenüber: Welche Fragen möchte ich der neuen Person stellen, und wie schaffe ich es, das Gespräch höflich zu beenden. (z.B. „Ich hol mir mal was zu trinken.” )

3. Ich verabrede mich mit einem Kollegen

Wenn möglich gehe ich gerne mit einer anderen Person zu einer Veranstaltung. Zu zweit fühlt sich vieles leichter an. Ich muss nicht die erste unangenehme Phase überstehen, bis ich mit einem mir unbekannten Konferenzteilnehmer ins Gespräch komme, sondern habe sofort einen Gesprächspartner, der mir u.U. seine eigenen Kontakte vorstellen und mich mit diesen Leuten vernetzen kann.

4. Ich benutze Essen und Trinken als mein Anker

Wenn ich alleine zu einer Veranstaltung gehe, ist mein erster Gang normalerweise zum Büffet oder zur Bar, um mir ein Getränk oder etwas zu essen zu holen. Bar und Büffet können gute Orte sein, um unverbindlich ins Gespräch zu kommen; und ich habe zunächst einmal etwas zu tun. Ich kann mich in Ruhe umsehen und mich entscheiden, an welchen Tisch oder zu welchen Leuten ich mich stellen möchte.  

5. Ich setze mir klare Ziele

Da für mich größere Veranstaltungen sehr anstrengend sind, setze ich mir schon vor der Veranstaltung klare Ziele, z.B. „Ich bleibe nur 30 Minuten.“ Oder: „Ich spreche mit zwei Leuten – dann darf ich gehen.“ Mir machbare Ziele zu setzen hilft mir, mich nicht überfordert zu fühlen, da ich nur eine begrenzte Zeit mit etwas verbringen muss, was mir nicht liegt. Außerdem bin ich nachher immer recht stolz auf mich, wenn ich meine Ziele erreicht habe, auch wenn sie sehr überschaubar waren.

Mein wichtigster Tipp: Finde deine eigene Strategie

Es gibt nicht die Strategie, wenn es sich ums Netzwerken dreht. Die beste Strategie ist diejenige, die zu uns passt. Das heißt für einige von uns, dass wir die Happy Hour auf einer Konferenz meiden und stattdessen lieber zu einem Vortrag oder Workshop gehen. Oder wir vermeiden Konferenzen generell und bilden uns stattdessen auf Online-Seminaren weiter. Weiterhin können wir auch unser bestehendes Netzwerk nutzen, um durch Bekannte und Freunde neue Leute kennenzulernen, Solange wir eine Strategie finden, die für uns persönlich funktioniert, ist unserer Kreativität keine Grenzen gesetzt.

Viele Menschen empfinden Netzwerken als sehr anstrengend - egal ob neurodivergent oder neurotypisch. Wir sollten daher Geduld mit uns haben. Es ist okay, nervös zu sein oder einen Namen zu vergessen oder manchmal nicht zuzuhören.

Was letztendlich zählt ist die eigentliche Vernetzung - auf welche diese jedoch stattfindet, ist uns überlassen.

 

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