Dein ADHS Support Team: Warum es manchmal ein Dorf braucht, um die Hilfe zu erhalten, die wir benötigen

„Es braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Diesen Satz haben wir bestimmt alle schon einmal gehört. Aber ich habe für mich feststellen müssen, dass für ein Leben mit ADHS oft genau das Gleiche gilt. ADHS kann sich überwältigend anfühlen und uns manchmal zur Verzweiflung bringen. Insbesondere dann, wenn unsere Umwelt nicht auf unserer Seite ist und uns ständig vermittelt, dass wir komisch, defizitär, faul oder einfach unfähig sind. Wenn wir ständig anecken und nie wirklich dazuzugehören scheinen, zu viele Niederlagen erleiden und in Depressionen verfallen. Dann sind wir spätestens an einem Punkt angelangt, an dem wir uns schnellstens Hilfe holen und einen Experten aufsuchen sollten.

Aber genau hier liegt die Schwierigkeit für viele von uns: an die richtige Hilfe zu kommen, wenn Diagnoseplätze in der Regel über Monate hinaus ausgebucht, Therapeuten überlaufen, Selbsthilfegruppen rar gesät sind. .

Ich weiß, wie sich das anfühlt, denn auch ich bin regelmäßig davon betroffen. Der Mangel an kompetenten und verlässlichen Hilfsangeboten kann uns schrecklich frustrieren und manchmal sogar verzweifeln lassen. Lange dachte ich daher, ich könnte meinen neurodivergenten Sohn mit meinem Wissen und meiner Erfahrung als ADHS-Coach alleine begleiten und wäre nur marginal auf äußere Hilfe angewiesen. Jedoch nach vielen vergeblichen Versuchen, Tränen und Wutausbrüchen musste ich erkennen: Ich brauche andere Fachleute, um wirkliche Veränderungen bewirken zu können. Und diese Erkenntnis führte letztendlich auch zu einem wahren Wendepunkt in unserer Familie.

Deshalb ist es so wichtig für uns, dranzubleiben, neue Wege auszuprobieren und sich Stück für Stück ein eigenes „Team“ aufzubauen. Wir brauchen nicht alle Fachleute und Experten auf einmal, sondern es reicht zunächst, ein oder zwei Personen zu finden, die unsere momentanen Bedürfnisse befriedigen können. Menschen, die uns Halt, Struktur und Verständnis geben und uns auf unserem Weg begleiten.

Im Folgenden habe ich einige Fachleute und Personengruppen aufgelistet, die wir zu unserem Team hinzufügen können, wenn wir es für angebracht halten:

Haus- oder Kinderärzte

Der Haus- oder Kinderarzt ist oft unsere erste Anlaufstelle. Ihm berichten wir von unseren Symptomen und erzählen ihm von unserem Verdacht, womöglich ADHS zu haben. Leider kennt sich nicht jeder Arzt gut mit Neurodiversität aus, so dass wir nicht von allen die Hilfe bekommen, die wir eigentlich bräuchten. Wichtig ist jedoch, dass wir das Gefühl haben, dass unser Arzt uns zuhört, seine möglichen Wissenslücken nicht überspielt und bereit ist, bei Bedarf dazuzulernen. Wenn das der Fall ist, dann kann er zu einem echten Verbündeten für uns werden, der uns langfristig auf unserer “ADHS-Reise” begleitet und uns mit Rat und Tat zur Seite steht.

Psychiater

Den richtigen Psychiater zu finden, ist ebenfalls keine leichte Sache - aber wenn es uns gelingt, haben wir eine entscheidende Hürde genommen. Ein guter Psychiater nimmt sich Zeit für uns; er hört uns zu, teilt seine Vermutungen mit uns und erklärt uns sachlich und vorurteilsfrei, was in unserem Gehirn passiert. Er führt mit uns die Diagnose durch und stellt uns medikamentös ein, wenn wir das wünschen. Wenn es zu viele Nebenwirkungen gibt, passt er die Medikamente so lange an, bis wir den größtmöglichen Nutzen aus der Medikation ziehen können. Äußerst wichtig sind wiederum Vertrauen, Verständnis und unser Gefühl, dass sich jemand wirklich unserer annimmt und wahres Interesse an der Verbesserung unserer Situation zeigt.

Therapeuten

Neben der richtigen Medikation ist eine gute Therapie eine weitere entscheidende Säule für die Behandlung unserer ADHS. Für viele kann Therapie ein signifikanter Schritt sein. Denn es geht nicht nur um Symptombehandlung, sondern auch um die Auseinandersetzung und Verarbeitung von alten Gefühlen wie Scham, Ängsten und Depressionen. Warum wollen wir beispielsweise alles perfekt machen? Warum ist es so schwer für uns, mit einer Sache zu beginnen? Welche Gefühle kommen in uns hoch, wenn wir von anderen Leuten eine vermeintliche Zurückweisung erhalten? Eine Therapie zu machen ist nicht immer leicht, weil wir mit unserer oft unliebsamen Vergangenheit konfrontiert werden. Andererseits kann sie uns ein Gefühl der Befreiung geben, da wir nun bestimmte Dinge besser verstehen und uns aktiv entscheiden können, in der Zukunft anders zu handeln.

Coaching

Coaching stellt eine weitere Möglichkeit für uns dar, neue Erkenntnisse über uns und unsere Verhaltensweisen zu gewinnen - jedoch dieses Mal auf eine etwas praktischere, unmittelbarere Art und Weise. Als Coach helfe ich, Systeme aufzubauen, die zu unserer persönlichen Situation passen und uns dabei unterstützen, unseren Alltag besser zu bewältigen. Wir etablieren gemeinsam Routinen mit Hilfe von individuellen Strategien und Strukturen, die länger als nur drei Tage anhalten und uns die Kontrolle über unser Leben zurückgeben. Gleichzeitig schärfen wir unsere Wahrnehmung für all die Dinge, die bereits gut funktionieren und lernen unsere Fortschritte besser zu schätzen, was sich positiv auf unser Selbstbewusstsein auswirkt.

 

Selbsthilfe- und Austauschgruppen

Für mich und viele meiner Klienten sind Selbsthilfe – und Austauschgruppen ein ganz wesentlicher Bestandteil unseres „Dorfes“. Mit Menschen zusammenzusitzen, die uns sofort verstehen, ohne dass wir ständig alles erklären müssen, ist für mich jedes Mal wieder eine fantastische Erfahrung, z.B. wenn wir von unseren Schlüsseln erzählen, die wir an einem Tag zehn Mal verlegt haben oder von 12 neuen Projekten, von denen wir noch keines zum Abschluss gebracht haben. Wir gehören endlich dazu und fühlen uns akzeptiert und verstanden. Wenn dir solch eine Gruppe fehlt, dann sind vielleicht meine Austauschgruppen für dich interessant, die dir sowohl ein Gefühl von Zugehörigkeit vermitteln als auch neue Techniken an die Hand geben, um im Leben besser klarzukommen. Hier kannst du mehr über diese Gruppen erfahren.

 

Weitere Fachleute für unser Wohlbefinden

Zusätzlich zu den bekannten Therapien und Medikamenten gibt es jede Menge anderer Verfahren, die wir für unsere Belange ausprobieren können, sei es Yoga, Meditation, Neurofeedback, Reflexintegrationstraining oder Reittherapie. Normalerweise müssen wir uns hier in Geduld üben, da keines dieser Verfahren eine sofortige Veränderung mit sich bringt, aber auf die Dauer merken wir oft eine größere Ruhe, Gelassenheit, weniger Ängste oder eine verbesserte Konzentration in unserem Alltag. Bei meinem Sohn sehe ich das regelmäßig beim therapeutischen Reiten: durch die enge Verbindung zu seinem Pferd und die Notwendigkeit, sein Gleichgewicht zu halten, ist er nach seiner Reitstunde viel ausgeglichener und kann seine Gefühle besser regulieren, was ich als ein hervorragendes Ergebnis ansehe.

Lehrkräfte, Dozenten und Arbeitskollegen

Verständnisvolle Lehrer sind oft entscheidend dafür, ob unsere Kinder gerne in die Schule gehen, sich mit Mühe und Not von Woche zu Wochen hangeln oder am Ende gar eine Klasse wiederholen müssen. Das Gleiche gilt auch später im Leben, wenn wir an der Uni sind oder im Arbeitsleben stehen: ob unsere Schwierigkeiten auf Verständnis und Unterstützung stoßen oder als nichtig verworfen werden, kann über Erfolg oder Niederlage entscheiden. Manchmal reicht schon ein verständnisvoller Satz oder ein aufmunternder Blick, um den enormen Druck von unseren Schultern zu nehmen und uns produktiver und motivierter zu fühlen.

Andererseits müssen wir natürlich vorsichtig sein, wem wir in welchem Maße von unseren Herausforderungen erzählen. Denn die von uns erhaltene Unterstützung und Flexibilität sollte sich niemals dahingehend auswirken, dass wir letztendlich als defizitär und inkompetent wahrgenommen und folglich bei einer Beförderung oder Gehaltserhöhung einfach übergangen werden.

Familie und Freunde

Und natürlich sind da die Menschen, die uns am nächsten stehen - unsere Familienmitglieder und Freunde. Sie wissen vielleicht nicht immer 100% über ADHS Bescheid, aber ihr Verständnis, ihre Geduld und ihre Liebe tragen uns oft durch die schwersten Tage. Sie erinnern uns daran, regelmäßig zu essen, wenn wir im Hyperfokus versinken, und fangen uns auf, wenn wir in ein emotionales Loch fallen. Aber auch hier gilt: Nicht jede Beziehung tut uns gut. Manche Familienmitglieder nehmen u.U. unsere Diagnose nicht ernst oder ziehen unsere Schwierigkeiten ins Lächerliche. Deshalb ist es so wichtig, uns genau zu überlegen, wem wir uns anvertrauen und wen wir zu unserem Support Team zählen können - und wen wir aus guten Gründen lieber außen vor lassen wollen.

Mein Fazit

Unser „Dorf“ entsteht nicht über Nacht, sondern braucht seine Zeit. Ich habe unzählige Male vor verschlossenen Türen gestanden, war frustriert über lange Wartelisten oder unglaublich enttäuscht, wenn sich der neue Arzt oder Psychologe als unpassend für unsere Situation herausstellte. Aber eines habe ich gelernt: ADHS ist nichts, was man allein durchkämpfen sollte. Mit den richtigen Menschen an unserer Seite stellt ADHS zwar immer noch eine Herausforderung dar, aber lässt sich viel besser in den Griff bekommen.

Denn jede Person in unserem Netzwerk hat ihre eigene wichtige Rolle: Die eine Person verhilft uns zu mehr Gelassenheit und Ruhe, eine andere zu mehr Routine und Organisation und eine dritte dabei, uns weniger allein zu fühlen. Zusammen formen diese Menschen unser Team, das einen unverzichtbaren Bestandteil unseres Lebens darstellt.

Auch wenn wir manchmal einfach nur erschöpft sind und aufgeben wollen, ist es wichtig, trotzdem dranzubleiben und weiter zu suchen. Unsere „Dörfer“ sehen alle unterschiedlich aus und bestehen aus unterschiedlichen Kombinationen – je nach dem, was wir gerade besonders brauchen. Und das ist völlig okay. Wichtig ist nur, dass wir letztendlich diejenigen Personen finden, die uns weiterhelfen und uns das Gefühl geben, gesehen, gehört und wirklich verstanden zu werden. Wenn ich dir auf deinem Weg dabei helfen kann, melde dich jederzeit, und wir sprechen miteinander!

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