ADHS und Mobbing in der Schule: Was wir als Eltern dagegen tun können

Als ich mit meiner Familie vor zwei Jahren aus den USA nach Deutschland zog, dachte ich, dass wir ganz gut vorbereitet seien - auf die neue Sprache, einen neuen Alltag, darauf, neue Freunde zu finden. Mein Sohn war in die erste Klasse einer kleinen Grundschule aufgenommen worden – in einem gut situierten, recht homogenen Stadtviertel, wo sich die Kids alle irgendwie glichen. Nur wenige hatten einen Migrationshintergrund, sprachen eine andere Sprache oder hatten eine andere Hautfarbe. Mein Sohn sprach primär Englisch, ist „native American“, und adoptiert, was ihn aus der Kindergruppe herausstechen ließ. Aber ich dachte damals trotzdem, dass er sich gut einleben würde, da ich einige der Eltern seiner neuen Klassenkameraden kannte und mir deshalb nur wenig Sorgen machte. Wie sich herausstellte, ein großer Denkfehler!

Wir wussten damals noch nicht, dass mein Sohn ADHS hatte: Wir hatten nur eine vage Vermutung, die von seiner früheren Lehrerin in den USA allerdings achtlos vom Tisch gewischt worden war, obwohl es etliche Anzeichen dafür gab. Die vielen Veränderungen, die im Zuge des Umzugs auf meinen Sohn einstürzten, verstärkten seine bis dahin eher milden Symptome und ließen ihn in eine Art Dauerüberforderung abrutschen: Er konnte plötzlich nur schwer stillsitzen und dem Unterricht folgen. Arbeitsblätter zu bearbeiten war für ihn unmöglich und Hausaufgaben waren ein ständiger Streitpunkt zwischen uns, Der Umgang mit anderen Kindern gestaltete sich ebenfalls als schwierig, da die meisten Kinder gemeinsam in Gruppen von ihren Kindergärten in die Schule gekommen waren und sich schon gut untereinander kannten. Nur mein Sohn kannte niemanden und wurde als irgendwie anders wahrgenommen.

Oft wurde er in den Pausen verbal angegriffen, über den Schulhof gejagt und von Gemeinschaftsspielen ausgegrenzt. Wenn er wütend reagierte und gelegentlich schlug oder trat, beschwerten sich die Kinder bei den Lehrern. Es wurde zu einer Art Spiel: Nachdem seine Klassenkameraden verstanden hatten, dass mein Sohn Probleme mit seiner Impulskontrolle hatte, nutzen sie dieses Wissen strategisch gegen ihn. Plötzlich war er immer das Problemkind, während die anderen Kinder unschuldige Gesichter machten und nur selten zur Rechenschaft gezogen wurden.

Es wurde für uns immer unerträglicher. Die Lehrer an der Schule meines Sohnes waren zwar verständnisvoll und durchschauten das Spiel teilweise, aber sie wussten nicht, wie sie die Situation verbessern sollten. Es gab einige halbherzige Versuche, mit den Eltern der Kinder zu sprechen, die jedoch die Schuld vehement von ihren Kindern abwiesen und in meinem Sohn den alleinigen Bösewicht sahen. Somit entschieden wir uns letztendlich schweren Herzens, die Schule zu wechseln und unseren Sohn aus diesem Alptraum herauszuholen. Und, wie sich später herausstellte, was dies die beste Entscheidung für uns alle.

Ich hatte mich in den USA nur am Rande mit dem Thema Mobbing beschäftigt, weil ich dazu wenig Veranlassung hatte. In Deutschland jedoch, wo ich mit dem Problem direkt konfrontiert war, recherchierte ich intensiv die Verbindung zwischen ADHS und der Ausgrenzung neurodivergenter Kinder in der Schule, um meinem Sohn besser helfen zu können. Im Folgenden sind ein paar Strategien, die wir vor dem Schulwechsel regelmäßig anwendeten und die meinem Sohn durch die schwierigen Monaten halfen

Was ist eigentlich genau Mobbing?

Mobbing ist kein einmaliges Ereignis. Es findet wiederholt statt, wird absichtlich durchgeführt und es liegt ein Machtungleichgewicht vor. Es kann körperliche Aggressionen, verbale Beleidigungen, Ausschluss aus der Gemeinschaft oder immer wieder verübte Gemeinheiten miteinschließen. Und wenn ein Kind ADHS hat, können gewisse Eigenschaften wie Impulsivität, soziale Unsicherheiten oder umgeschicktes Benehmen es noch schneller zu einer Zielscheibe machen und die Tendenz zum Mobbing verstärken.

Was sagt die Forschung?

Es liegen mehrere Studien vor, die deutlich machen, wie stark ADHS und Mobbing miteinander verknüpft sind:

  • Die Studie Prevalence of school bullying and its relationship with ADHD and conduct disorder fand heraus, dass Grundschulkinder mit ADHS deutlich häufiger Opfer von sowohl verbalem, sozialem als auch körperlichem Mobbing sind.

  • In Bullying perpetration and victimization in elementary school students diagnosed with ADHD wurde gezeigt, dass Impulsivität und ADHS in Familien wichtige Indikatoren dafür sind, dass ein Kind sowohl Opfer von Mobbing wird als auch selbst zu aggressivem Verhalten greift, um sich in seiner Umwelt besser behaupten. zu können.

  • Bullying in Students with Attention Deficit/Hyperactivity Disorder (ADHD) hebt weiterhin deutlich hervor, wie Konflikte mit Lehrkräften, geringere Akzeptanz durch Mitschüler sowie ein niedrigeres soziales Ansehen mit einem höheren Risiko für Mobbing verbunden sind.

  • In der Langzeitstudie Recalled Experiences of Bullying and Victimization wurde bei Menschen mit ADHS genau nachverfolgt, wie häufig sie als Kind Opfer, Täter oder beides von Mobbing waren – und es wurde ein deutlich höheres Risiko bei Kindern mit ADHS festgestellt.

Fazit? Kinder mit ADHS stehen vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen müssen sie die täglichen Hürden des Schulalltags bewältigen, zum anderen tragen sie das Risiko, missverstanden, ausgeschlossen oder gemobbt zu werden.
Die Frage ist also: Wie können wir unseren Kindern helfen, ihren Schulalltag zu meistern, ohne dabei in eine Depression zu rutschen oder soziale Ängste zu entwickeln?

Was uns geholfen hat (und vielleicht auch anderen helfen könnte)

Als ich herausfand, dass mein Sohn regelmäßig gemobbt wurde, fühlte ich mich völlig hilflos. Er kam nach Hause und erzählte immer wieder, dass er über den Schulhof gejagt, gehänselt und von den Spielen der anderen Kinder ausgeschlossen wurde – und ich hatte keine Ahnung, wie ich das Verhalten der anderen Kinder stoppen sollte. Mein erster Schritt war jedoch nicht sofort ins Handeln zu kommen, sondern zunächst einmal einfach zuzuhören. Anstatt Platitüden zu bemühen wie „Lass die anderen Kindern doch einfach links liegen“, versuchte ich ihm zu vermitteln, wie sehr ich seine Gefühle von Angst, Wut und Trauer nachvollziehen konnte. Natürlich löste mein verständnisvolles Zuhören nicht das eigentliche Problem, aber es gab ihm das Gefühl, ernst genommen und verstanden zu werden.

Zuhause fingen wir langsam an, bestimmte Szenarien, die in der Schule auftraten, regelmäßig nachzuspielen. Ich spielte beispielsweise den „Mobber“, so dass mein Sohn verschiedene Reaktionen ausprobieren und sich überlegen konnte, was wohl am effektivsten wirken könnte. Wie fühlte es sich an, verbal anstatt körperlich auf Angriffe seiner Mitschüler zu reagieren? Wie konnte er es schaffen, den anderen Kindern in seinem einfachen Deutsch Parolie zu bieten mit Sätzen wie: „Hör auf, ich mag das nicht“? Oder sollte er sich lieber gleich von den anderen Kindern abwenden und einen Lehrer um Hilfe bitten? Wie fühlte sich ein Stressball in seiner Hand an, wenn er wirklich wütend war? Durch die Rollenspiele bekam mein Sohn ein besseres Gefühl für seine Möglichkeiten und konnte so in einer sicheren Umgebung testen, welche Reaktionen ihm als machbar erschienen - und welche er lieber wieder verwerfen sollte.

Des Weiteren versuchten wir, den kaum existenten Freundeskreis meines Sohnes etwas zu erweitern, indem wir uns neue Aktivitäten suchten. Vor allem der Umgang mit Pferden machte meinem Sohn besonders viel Spaß, so dass wir ihn für regelmäßige Reitstunden in der Gruppe anmeldeten. Dort lernte er neue Kinder kennen, die seine Leidenschaft teilten und mit denen er leichter ins Gespräch kam.

Ein enorm wichtiger Schritt war natürlich auch das Gespräch mit den Lehrern, die sich nur unzureichend mit ADHS auskannten. Zum einen klärte ich die Lehrkräfte über die Schwierigkeiten meines Sohnes genauer auf und gab ihnen ein paar Strategien an die Hand, wie sie ihm bei der emotionalen Regulation zur Seite stehen konnten. Manche Lehrer hörten interessiert zu und versprachen, aktiv mitzuhelfen, während andere meine Vorschläge als schwer umsetzbar abtaten.

Trotz unserer intensiven Bemühungen fühlten wir uns am Ende gezwungen, die Schule zu wechseln, obwohl sich im Laufe der Zeit vieles deutlich verbessert hatte. Was sich jedoch nicht geändert hatte, war die Haltung vieler Eltern meinem Sohn gegenüber und die Schuld, die sie ihm für nahezu alles gaben, was regelmäßig in der Klasse und auf dem Schulhof passierte. Die Schule zu wechseln war für uns alle keine leichte Entscheidung, aber sie gab meinem Sohn die Möglichkeit, in einem weniger voreingenommenen Umfeld noch einmal neu anzufangen und sich langsam von den gemachten toxischen Erfahrungen zu erholen.

Worauf es wirklich ankommt

Mobbing und ADHS treten oft im Tandem auf und können uns allen das Leben sehr schwer machen. Was ich als Mutter durch die Erfahrung mit meinem Sohn gelernt habe, ist die Tatsache, dass wir leider nicht steuern können, wie sich andere Kinder unseren eigenen gegenüber verhalten. Aber wir haben einen Einfluss darauf, wie wir reagieren, wie wir uns für unsere Kinder einsetzen und wie wir sie in solchen Situationen stärken können.

Es braucht ein Team aus Eltern und Lehrern - und manchmal auch einfach ein neues Umfeld in Form von einer neuen Schule. Das ist zwar nicht ideal, aber in einigen Fällen leider unvermeidbar. Denn in einem neuen Umfeld haben unsere Kinder die Chance, ihre Rolle neu zu definieren, verständnisvollere Mitschüler zu finden und somit Schule positiver zu erleben.

Und vielleicht das Wichtigste: Unsere Kinder brauchen die Gewissheit, dass wir ihnen glauben, dass wir an ihrer Seite stehen und sie tatkräftig unterstützen - vor allem in dem Bewusstsein, dass ADHS keine Schwäche, sondern einfach ein wichtiger Teil ihrer Persönlichkeit ist, für den sie sich nun wirklich nicht zu schämen brauchen!

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