Von Burnout zu Balance: ADHS und unser schwankendes Energielevel im Berufsleben
Als ich Professorin in den Staaten war, hatte ich oft das Gefühl, dass mich meine Arbeit an den Rand des Burnouts brachte. Mein Job machte mir generell viel Spaß: Ich unterrichtete für mein Leben gerne. Ich interessierte mich brennend für Literatur und Pädagogik. Ich kollaborierte oft und gerne mit meinen Kollegen. Aber hinter den Kulissen war ich ständig völlig erschöpft.
Ich hatte das Gefühl, dass meine Kollegen ihre Arbeit mit Leichtigkeit erledigten: Vorlesungen zu halten, Meetings zu besuchen, zahlreiche wissenschaftliche Artikel zu verfassen, an Konferenzen teilzunehmen schien ihnen so gar nichts auszumachen. Sie konnten drei Kurse am Stück unterrichten und danach trotzdem noch intensiv an ihrem Buch arbeiten, bevor sie sich dann abends mit Freunden zum Abendessen verabredeten.
Ich dagegen? Ich war einfach nur fertig.
Nach einem langen Unitag kam ich regelmäßig hundemüde nach Hause. Ich legte mich auf die Couch, schaltete den Fernseher an und bevor ich es mich versah, war ich schon eingeschlafen. „Work hard, play hard“ war definitiv nicht mein Motto, wohingegen „work hard, collapse harder“ meinem Zustand schon viel näher kam…
Lange dachte ich, ich wäre nicht gut genug für meinen Job geeignet. Ich machte mir Vorwürfe, zu wenig Ausdauer oder Willenskraft zu haben. Doch die Wahrheit war einfach, dass ich mit meinen neurodivergenten Tendenzen mehr Anstrengungen aufwenden musste als meine neurotypischen Kollegen. Was für andere wie ein normaler Arbeitstag aussah, war für mein Gehirn eine kleine Herausforderung: zahlreiche Reize zu verarbeiten, mich emotional zu regulieren und bei einer Sache zu bleiben - all das kostete viel Kraft.
Die eigenen Grenzen wahrnehmen
Irgendwann musste ich mir eingestehen, dass ich mit Kritik und Selbstanschuldigungen nicht weiterkam. Ich brauchte eine ganz andere Herangehensweise, um besser mit meiner Energie umzugehen. Also fing ich an, mit kleinen Strategien zu experimentieren und schrittweise Veränderungen vorzunehmen, die mit der Zeit einen großen Erfolg zeigten.
Eine der wichtigsten Veränderungen war für mich, regelmäßige Pausen in meinen Tag einzuplanen. Früher hatte ich immer angenommen, dass ich einfach weiter durchpowern müsste, um mithalten zu können. Doch als ich begann, bewusst kleine Pausen in meinen Tag einzubauen, war ich plötzlich viel produktiver als zuvor.
Ich nahm mir beispielsweise zehn Minuten zwischen zwei Terminen, um in meinem Büro kurz die Augen zu schließen, ein Lied zu hören, einen Snack zu essen oder einmal um mein Gebäude zu spazieren. Diese kleinen Auszeiten halfen mir, mich kurz zu erholen, so dass ich den nächsten Abschnitt meines Tages besser meistern konnte.
Ein weiterer Wendepunkt war das bewusste Einplanen von Freizeitaktivitäten - auch wenn es sich anfangs so anfühlte, als hätte ich wirklich keine Zeit für diese vermeintlichen Ablenkungen. Früher ließ ich Sport oder Verabredungen oft ausfallen, weil ich zu müde war oder zu viel zu tun hatte. Ironischerweise machte mich das jedoch nur noch erschöpfter.
Nun fing ich langsam wieder an, regelmäßig zu joggen, las endlich das Buch, das mir meine Schwester schon vor fünf Monaten geschenkt hatte, traf mich auf einen Kaffee mit Freunden. Alles Dinge, die zwar Zeit kosteten, aber mir wieder Energie zurückgaben. Aber um diese Zeit auch wirklich zur Verfügung zu haben, musste ich sie an anderer Stelle einsparen, was mich zunächst vor eine weitere Herausforderung stellte.
Sich eine Bedenkzeit erbitten, bevor wir einer Bitte zustimmen
Für mich und viele Leute mit ADHS ist es schwierig, nicht vorschnell in Dinge einzuwilligen. Wenn mich jemand fragte, ob ich einen Gastvortrag halten, eine Zeitschrift lektorieren oder einen weiteren Studenten betreuen wollte, sagte ich automatisch sofort ja. Ich hatte Lust dazu und wollte helfen – und natürlich auch niemanden enttäuschen.
Aber diese schnellen Zusagen führten oft zu wochenlangem Stress für mich.
Also führte ich eine neue Regel ein: bevor ich einer Bitte nachkam, erbat ich mir zunächst etwas Zeit zum Nachdenken. Vor meinem Badezimmerspiegel übte ich immer wieder den Satz: „Ich schaue mal in meinen Kalender und melde mich dann bei dir,“ um ganz sicher zu gehen, dass ich ihn auch im kritischen Moment würde benutzen können. Dieser Satz verschaffte mir Zeit, in Ruhe zu überlegen, ob ich wirklich noch Kapazitäten für ein neues Projekt hatte.
Lautete meine ehrliche Antwort dann nein, musste ich natürlich auch den nächsten Schritt in Angriff nehmen und freundlich, aber bestimmt absagen, was wiederum intensives Üben bedurfte. Abzusagen war mir zunächst schrecklich unangenehm, aber es half mir, bestehende Abgabefristen besser einhalten und meine Projekte stressfreier bearbeiten zu können. Mit der Zeit wurde das Neinsagen dann immer leichter, weil die Vorteile einer Absage bei Weitem den kurzen unangenehmen Moment der Absage überwogen.
Das eigen Energielevel annehmen lernen
Der wichtigste Schritt war für mich aber letztendlich die Akzeptanz meines persönlichen Energielevels. Ich kämpfte nicht mehr ständig gegen mich und meine Bedürfnisse, sondern nahm meinen Energielevel einfach als gegeben hin. Wie wir wissen, arbeitet ein ADHS-Gehirn ständig im Overdrive: Reize filtern, Emotionen regulieren, Ablenkungen ausblenden. Das kostet viel Kraft und Anstrengung, auch wenn man es von außen nicht sieht.
Statt mich mit meinen Kollegen zu vergleichen, die scheinbar alles konnten, begann ich, meine Bedürfnisse zu berücksichtigen. Bei Konferenzen ging ich beispielsweise gezielt nur zu wenigen Vorträgen. Ich überlegte mir im Vorhinein, wieviel Neues ich wirklich aufnehmen konnte, ohne mich überreizt und erschöpft zu fühlen. Ich plante viele Pausen ein, während denen ich eine Runde spazieren ging oder mir Sehenswürdigkeiten ansah. Networking-Abende ließ ich oft ausfallen und traf lieber eine Freundin zum Abendessen.
Schlussgedanken
Wir müssen uns nicht entschuldigen, weil unser Gehirn anders funktioniert. Und es macht keinen Sinn, uns mit Menschen zu vergleichen, die nicht dieselben Herausforderungen haben.
Mit ADHS zu leben bedeutet, seine Grenzen zu kennen und mit der eigenen Energie gut hauszuhalten. Gewohnheiten zu etablieren, die langfristig zu einem ruhigeren und stressfreieren Leben führen und es uns ermöglichen, unserer Arbeit nachzugehen, ohne in ein Burnout zu schlittern.
Wenn wir also ständig erschöpft sind, dann sollten wir uns überlegen, ob wir etwas verändern können, damit wir uns wieder besser fühlen. Wir sind nicht faul oder haben nicht genug Willensstärke. Unser Gehirn hat einfach andere Bedürfnisse, und es ist völlig in Ordnung, diese Bedürfnisse ernst zu nehmen und zu befriedigen.