Vier Strategien für eine super mündliche Mitarbeit trotz Chaos im Kopf
Als ich noch selbst zur Schule ging, waren mir mündliche Noten ein Gräuel. Sie kamen mir immer total unfair vor. Generell war ich eine gute Schülerin und beteiligte mich immer viel im Unterricht, aber oft war es mir schrecklich langweilig in der Stunde, so dass ich nicht selten ausgiebig mit meinen Sitznachbarn quatschte. Das führte leider dazu, dass mir meine Lehrer häufig nicht die Noten gaben, die ich aus meiner Sicht verdient hätte. Sie kritisierten meine große Ablenkbarkeit und mein störendes Verhalten in ihren Klassen, weshalb sie meine Noten regelmäßig herabsetzten.
Später, als ich selbst als Professorin vor meinen Studenten stand, entschied ich mich sehr schnell, mündliche Beteiligung komplett aus meiner Bewertung zu streichen. Ich wollte auch schüchternen und besonders quasseligen Studenten eine Chance geben, die beste Noten in meinen Kursen zu erhalten. Somit konzentrierte ich mich in erster Linie auf schriftliche Leistungen wie z.B. Hausaufgaben, Essays oder Gruppenprojekte.
Natürlich weiß ich, dass in vielen Schulen und Unis die mündliche Beteiligung weiterhin einen großen Teil der Endnote ausmacht. Und gerade für Menschen mit ADHS kann genau das zum Stolperstein werden. Denn sich im Unterricht zu melden, ist für viele neurodivergente Menschen schwieriger als einen Aufsatz oder eine Klausur zu schreiben.
Wenn du ADHS hast, kennst du das vielleicht: Du willst dich beteiligen, aber dein Kopf ist plötzlich ganz woanders. Vielleicht bist du so gelangweilt, dass du gar nicht mehr richtig zuhören kannst. Oder du hast das Textbuch vergessen oder die Hausaufgaben nicht gemacht und weißt nicht, worum es gerade geht. Oder du fällst, so wie ich früher, durch dein störendes Verhalten auf, was die Lehrer nicht wirklich zu schätzen wissen.
Das Ergebnis? Du beteiligst dich so gut wie gar nicht und bekommst Punktabzug. Nicht, weil du nicht schlau genug bist oder den Stoff nicht verstehst, sondern weil dein ADHS dir dazwischenfunkt.
Die gute Nachricht: Du musst dich nicht ununterbrochen beteiligen oder immer die perfekte Antwort parat haben. Mit ein paar kleinen Tricks kannst du Wege finden, dich so einzubringen, wie es für dein Gehirn passt, so dass du auch als neurodivergenter Schüler oder Student genauso erfolgreich wie deine neurotypischen Mitschüler sein kannst.
Warum mündliche Beteiligung wichtig ist
Wie gesagt kann im Unterricht deine mündliche Beteiligung entscheidend für deine Endnote sein, vor allem in geisteswissenschaftlichen Fächern, den Sozialwissenschaften oder in Seminaren, wo es sich in erster Linie um Gespräche dreht. Manchmal zählt die mündliche Mitarbeit 10–30 % der Gesamtnote. Das ist zu viel, um sie einfach zu ignorieren.
Aber es geht nicht nur um Noten. Wenn wir uns aktiv am Unterricht beteiligen, verarbeiten wir den Stoff auf einer tieferen Ebene. Ein Konzept laut zu erklären oder eine Frage zu stellen, bringt unser Gehirn in Schwung, und wir verstehen und merken uns die Inhalte besser. Und natürlich vergeht die Stunde auch schneller, wenn wir aktiv am Unterricht teilnehmen und nicht passiv auf unserem Stuhl sitzen und vor Langeweile beinahe einschlafen.
Warum das mit ADHS so schwierig sein kann
Es gibt viele Gründe, warum gerade Schüler und Studierende mit ADHS es besonders schwer haben, sich im Unterricht zu beteiligen. Hier sind drei der häufigsten:
1. Wir sind zu gelangweilt, um uns zu konzentrieren.
ADHS-Gehirne brauchen Abwechslung und neue Reize. Wenn der Unterricht zu langsam ist oder uns das Thema so gar nicht interessiert, ist es fast unmöglich für uns, bei der Sache zu bleiben, selbst wenn wir es wirklich wollen. Dann reden wir mit unseren Sitznachbarn, lesen unter dem Tisch heimlich Comics oder machen eine mentale Liste, wen wir zu unserer nächsten Party einladen wollen.
2. Wir driften ab und verpassen, was in der Stunde passiert.
Wir sitzen zwar im Unterricht, aber geistig sind wir ganz woanders, weil unsere Konzentration uns im Stich lässt. Ohne es zu merken, schweifen wir ab und sind in Gedanken weit weg vom Thema. Plötzlich stellt uns jemand eine Frage, und wir haben keine Ahnung, worum es gerade geht.
3. Wir haben unsere Hausaufgaben oder Materialien vergessen.
Das Ergebnis? Wir halten uns im Unterricht in der mündlichen Mitarbeit stark zurück und verpassen die Chance, mit unseren Kommentaren die Diskussion zu bereichern oder durch unsere Fragen Sachverhalte zu klären.
Die Lösung: Unsere mündliche Mitarbeit strategisch planen
Uns mehr mündlich zu beteiligen bedeutet nicht zwangsläufig, uns besser vorzubereiten, sondern oft einfach nur geschickter mit unserer Energie und Aufmerksamkeit hauszuhalten. Im Folgenden findest du vier Strategien, die wir auch dann anwenden können, wenn wir nicht wirklich gut auf den Unterricht vorbereitet sind oder so gar keine Lust auf das Thema haben:
1. Wir setzen uns ein „Beteiligungsziel“
Wir legen vor der Stunde genau fest, wie oft wir uns am Unterricht beteiligen wollen. Vielleicht können wir mit einer Beteiligung pro Stunde beginnen. Denn wenn wir normalerweise gar nichts zum Unterricht beitragen, kann ein einmaliges Melden im Unterricht schon einen riesigen Fortschritt bedeuten. Wenn wir uns ein klares Ziel setzen, hilft das unserem Gehirn, dieses auch in die Tat umzusetzen. Und sobald wir das Ziel erreicht haben, können wir uns zurücklehnen und uns entspannen.
Tipp: Wenn wir dazu neigen, mit der Zeit abzuschweifen, sollten wir uns sofort zu Beginn der Stunde einbringen, damit wir unser Ziel erreicht haben, bevor unsere Konzentration nachlässt.
2. Wir experimentieren mit verschiedenen Arten von Beiträgen
Wir brauchen keine perfekten Antworten zu geben. Es gibt viele Möglichkeiten, uns einzubringen, auch wenn wir nicht gut über das Thema Bescheid wissen:
Wir sprechen über unsere persönlichen Erfahrungen mit dem Thema. Vielleicht erinnert uns das Thema an etwas aus unserem Alltag oder aus einem anderen Kurs, womit wir uns einbringen können.
Wir können auch einen Begriff definieren oder ein Konzept zusammenfassen: Ein Satz wie „Heißt das dann, dass …?“ kann dabei völlig ausreichen.
Wir denken die Antwort oder den Kommentar einer anderen Person einfach weiter: „Ich finde den Punkt von Alex spannend und würde ergänzen …“
Auch wenn du dich unvorbereitet fühlst, irgendein Beitrag fällt dir meistens ein. Und selbst eine Verständnisfrage zählt (siehe Punkt 3).
3. Wir stellen eine Verständnisfrage
Wir müssen nicht immer bestens Bescheid wissen, um uns zu melden. Wir dürfen auch zugeben, dass wir etwas nicht ganz verstanden haben. Hier ein paar Formulierungen:
„Ich habe den zweiten Absatz nicht ganz verstanden. Kann mir jemand sagen, was die Autorin meint?“
„Ich bin mir nicht sicher, ob ich’s richtig verstanden habe, aber ich denke, die Hauptaussage ist …“
„Das erinnert mich an ein anderes Thema, das wir mal hatten. Gibt es da Parallelen?“
Fragen zu stellen ist nicht nur erlaubt, sondern es zeigt, dass wir mitdenken. Und bringt uns ebenfalls Beteiligungspunkte.
4. Wir schreiben uns unsere Fortschritte auf
Wir machen uns eine Notiz auf unserem Handy, im Heft oder auf einem Post-it, wenn wir uns beteiligt haben. Am Ende des Tages oder der Woche können wir dann genau erkennen, ob wir unsere Ziele erreicht haben. Wir können uns überlegen, was gut geklappt hat und was uns schwergefallen ist. War die Stunde interessanter, weil wir uns eingebracht haben? Was können wir nächstes Mal noch verbessern?
Mündliche Beteiligung mit ADHS kann auf alle Fälle eine Herausforderung sein, aber sie ist durchaus machbar. Wichtig ist, dass wir uns erreichbare Ziele setzen, uns nicht entmutigen lassen und unseren eigenen Weg finden, uns im Unterricht zu beteiligen.
Wir müssen nicht perfekt sein – wir müssen einfach nur anfangen.