Warum wir mit ADHS oft im falschen Beruf landen - und was wir dagegen tun können

 

Was tun, wenn wir in einem Job festsitzen, der nicht zu uns passt? Wenn wir uns tagein, tagaus überfordert fühlen, weil uns die Arbeit vor Herausforderungen stellt, die wir kaum bewältigen können? Suchen wir uns dann einen neuen Job? Und was passiert, wenn auch dieser neue Job uns unglücklich macht und wir uns weiterhin ständig frustriert und deprimiert fühlen?

 

Mit der Zeit glauben wir möglicherweise, dass wir ein Versager und nicht in der Lage sind, die von uns geforderten Leistungen zu erbringen. Dass wir zur Unzufriedenheit im Job verdammt sind, was sich langsam auf unser gesamtes restliches Leben auswirkt und unser Selbstbewusstsein negativ beeinflusst. Wir fühlen uns hilflos, hoffnungslos und wissen keinen Ausweg. Was ist hier los?

 

Nicht selten liegt die Antwort auf diese Frage in der Tatsache, dass wir eine für uns unpassende Tätigkeit ausüben – eine Tätigkeit, bei der nicht unsere Stärken, sondern vielmehr unsere Schwächen im Vordergrund stehen und wir deshalb wenig Erfolg im Beruf haben.

 

Sehen wir uns einmal die Rolle genauer an, die unsere exekutiven Funktionen bei unserer Arbeit spielen. Theoretisch helfen uns exekutive Funktionen dabei, uns beispielsweise auf eine Sache zu konzentrieren, wichtige Fristen einzuhalten, unseren Tag zu organisieren, uns an Termine zu erinnern und dringende Aufgaben schnell zu erledigen.

 

Diese wichtigen Fähigkeiten bilden die Grundlage vieler Jobs - von Vorgesetzten hochgeschätzt und unerlässlich für eine produktive Teamarbeit mit den Kollegen.

 

Für Menschen mit ADHS kann es jedoch äußerst schwierig sein, diese Aufgaben zufriedenstellend auszuführen, weil ihr Gehirn nicht wie das neurotypischer Personen funktioniert. Planen, Organisieren, Termine einhalten, Dokumente ablegen, Aufgaben systematisch abarbeiten gehören oft nicht zu ihren Stärken – jedoch sind es eben gerade diese Fähigkeit, die in vielen Jobs primär gefragt sind, so dass Misserfolge bereits vorprogrammiert sind. Warum landen wir jedoch in Jobs, die nicht gut zu uns passen?

Eine mögliche Antwort liegt einmal in unseren schulischen und akademischen Leistungen, die nicht selten unter denen von neurotypischen Schülern oder Studenten verbleiben. Da sowohl in Schule als auch Uni viel Wert auf eben jene exekutiven Funktionen gelegt wird, die uns Probleme bereiten – Anweisungen akkurat befolgen, gute Leistung unter Druck erbringen, sich zahlreiche Fakten merken, stillsitzen oder genau das zu lernen, was uns vorgesetzt wird – ist es kein Wunder, dass wir schon in frühen Jahren viele Niederlagen einstecken müssen.

 

Viele unserer Stärken jedoch, wie beispielsweise Kreativität, unkonventionelles Problemlösen, Empathie, Spontaneität, Hilfsbereitschaft oder die Fähigkeit, uns auf Dinge zu konzentrieren, die uns wirklich interessieren, verbleiben unentdeckt und haben keine positive Auswirkung auf unsere Noten. Unsere Zeugnisse spiegeln somit nur unzureichend unsere individuellen Fähigkeiten wider und können zu gravierenden Nachteilen auf dem Arbeitsmarkt führen.

 

Ein weiterer Grund, warum wir uns für die falschen Jobs entscheiden, liegt oft in unseren zahlreichen Misserfolgen in unserer Vergangenheit und unserem daraus resultierenden geringen Selbstwertgefühl. Diese Selbstzweifel halten uns davon ab, uns auf jene Stellen zu bewerben, die uns attraktiv erscheinen. Anstatt unser Glück einfach zu versuchen, begnügen wir uns mit Stellen, die weniger Verantwortung und Anforderungen mit sich zu bringen scheinen - und laufen dadurch Gefahr, auf ganzer Linie zu scheitern. Denn die Annahme, Niederlagen bei Jobs mit weniger anspruchsvollen Aufgaben vermeiden zu können, ist leider nicht korrekt. Es sind oft gerade jene anspruchsvollen Aufgaben, die uns viel leichter von der Hand gehen als simple Bürotätigkeiten. Statt in unserem Job zu glänzen, stoßen wir somit ganz schnell an unsere Grenzen und fragen uns letztendlich, ob wir überhaupt zu einer beruflichen Tätigkeit fähig sind oder ob es unser Schicksal ist, in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

 

Wie William Dodson, renommierter amerikanischer Psychiater und ADHS-Spezialist, klar herausstellt, basiert das Nervensystem neurodivergenter Menschen auf Interesse und nicht, wie bei neurotypischen Menschen, auf Wichtigkeit. Unsere Motivation ist eng an jene Projekte geknüpft, die uns wirklich Spaß machen. Wenn uns also administrative Tätigkeiten zu Tode langweilen und unser Gehirn mit der Ausführung dieser Tätigkeiten große Probleme hat, stehen die Chancen nicht gut, dass wir zufriedenstellende Arbeit leisten können. Die Lösung liegt hier eindeutig in einer Stelle, die unsere Stärken herausstellt, unser Interesse weckt und es uns ermöglicht, jene Aufgaben zu delegieren, die uns überfordern. Erst dann wird sich der Erfolg auf unserer Arbeitsstelle für uns einstellen und wir werden am Abend zufrieden nach Hause gehen.  

 

Einen weiteren wichtigen Punkt stellt ein gutes Arbeitsklima bei der Wahl einer Stelle dar. Insbesondere sind hier Kollegen und ein Arbeitgeber wichtig, die unsere Situation verstehen und auf unsere Bedürfnisse eingehen. Da neurodivergente Menschen im Vergleich zu ihren neurotypischen Kollegen tendenziell mehr Unterstützung und Verständnis benötigen, ist eine positive und freundliche Atmosphäre für sie besonders essentiell, um gute Arbeit leisten zu können. Es geht uns viel besser, wenn wir von kollegialen Mitarbeitern umgeben sind, die uns zuhören, ermutigen und mit Rat und Tat zur Seite stehen, anstatt gegen uns arbeiten und unsere Schwächen für sich ausnutzen.

 

Wenn wir uns also in unserem momentanen Job überfordert fühlen, dann sollten wir uns ein bisschen Zeit nehmen, um herauszufinden, woher diese Überforderung stammt. Gibt es auf unserer Arbeitsstelle zu viele Tätigkeiten, die uns so gar nicht liegen? Wenn dies der Fall ist, so könnte ein erster Schritt darin bestehen, unsere individuellen Stärken und Talente zu entdecken – dieser Artikel könnte dabei hilfreich sein - und genauer festzustellen, wie die ideale Stelle für uns aussehen sollte. Natürlich können wir nicht immer alle Aspekte einer neuen Arbeitsstelle bestimmen,  jedoch je besser wir über unsere Bedürfnisse Bescheid wissen, desto geschickter können wir verhandeln und günstige Bedingungen für uns herausschlagen. Unsere Arbeitszeit nimmt einen großen Teil unseres Tages ein – daher sollte unser Job so gut wie möglich zu uns passen, unsere Talente zum Vorschein bringen und unsere Stärken fördern und wertschätzen.

Zurück
Zurück

ADHS-Kinder ticken anders - warum Vergleiche mit neurotypischen Kindern kontraproduktiv sind

Weiter
Weiter

Warum Spaß und kleine Schritte so wichtig für eine erfolgreiche Self-Care Routine sind